EFA Vorbehalt


Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung im Dezember 2011 einen "Vorbehalt" gegen das, aus dem Jahre 1953 stammende, Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) erklärt.
Bis dato konnten Bürger aus den 18 Unterzeichnerstaaten in Deutschland Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen. Für die Bürger bedeutete dies, spätestens seit der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass sie auch während der ersten drei Monate nach ihrer Einreise nach Deutschland Grundsicherungsleistungen beanspruchen konnten, auch wenn Sie nur zur Arbeitssuche eingereist waren.

Im Februar 2012 erließ nun die Bundesagentur für Arbeit eine Geschäftsanweisung aufgrund derer Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S.2 Nr. 2 SGB II (keine Leistungen in den ersten drei Monaten, wenn der Zweck der Einreise nur in der Arbeitssuche besteht) wieder gelten solle. Prompt hatte ich auch die ersten Mandanten welche sich der Leistungseinstellung von heute auf morgen gegenübersahen in meiner Kanzlei. Im Eilverfahren vor dem Sozialgericht Berlin versuchte ich meinen Mandanten zumindest einstweilen wieder zu Leistungen zu verhelfen. Aufgrund der am 29.02.2012 vom LSG Berlin-Brandenburg (L 20 AS 2347/11 B ER) ergangenen Entscheidung zu dieser Problematik jedoch wurde mein Antrag zurückgewiesen. Das LSG geht in dieser Entscheidung davon aus, dass der Leistungsausschluss europarechtskonform sei.

Erhebliche Zweifel an dieser Einschätzung sind vor dem Hintergrund, dass sich der erklärte Vorbehalt rein praktisch wie eine einseitige Kündigung des EFA auswirkt und zudem einen Verstoß gegen Diskriminierungsverbote des europäischen Primärrechts darstellen dürfte, angebracht. Mittlerweile gibt es eine schier unüberschaubare Anzahl gegensätzlicher Entscheidungen zur Frage ob der Leistungsausschluss rechtmäßig ist.
Hier eine Übersicht über die mir bislang bekannten Entscheidungen:

Leistungsausschluss bejahten:

- SG Berlin, 11.06.2012 - S 205 AS 11266/12 ER (Vorbehaltserklärung der Bundesregierung wirksam; Art. 4 EGV 883/2004 nicht auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, wozu ALG II gehöre, anzuwenden)
- LSG Berlin Brandenburg, 10.05.2012 - L 20 AS 802/12 B ER (Leistungsausschluss von Bulgaren begegnet keinen europarechtlichen Bedenken)
- LSG Berlin Brandenburg, 03.04.1012 - L 5 AS 2157/11 B ER; 06.08. L 5 AS 1749/12 B ER (Gegen den Leistungsausschluss bestehen keine europarechtlichen Bedenken)
- LSG Berlin Brandenburg, 19.07.2012 - L 29 AS 1244/12 B ER; 25.07.2012 - L 29 AS 1504/12 B ER (Leistungsausschluss ist europarechtskonform; EFA Vorbehalt wirksam)
- LSG Niedersachsen-Bremen, 03.08.2012 - L 11 AS 39/12 B ER (Leistungsausschluss für Rumänen europarechtskonform)


Leistungsausschluss lehnten ab:

- SG Berlin, 20.06.2012 - S 189 AS 15170/12 ER (Leistungsausschluss ist gem. Art 4 EGV 883/2004 europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass er auf Unionsbürger keine Anwendung findet)
- LSG Berlin Brandenburg, 29.06.2012 - L 14 AS 1460/12 B ER (ob Vorbehalt wirksam ist offen gelassen; jedenfalls sei Leistungsausschluss nicht mit den Vorschriften des europäischen Unionsrechts, insbesondre Art. 4 EGV 883/2004 vereinbar)
- LSG Berlin Brandenburg, 23.05.2012 - L 19 AS 1106/12 B ER (kein wirksam erklärter Vorbehalt, Vorschriften des EFA weiterhin anwendbar)
- LSG Berlin Brandenburg, 23.05.2012 - L 25 AS 837/12 B ER (fraglich ob der erklärte Vorbehalt im Einklang mit dem Wiener Vertragsrechtsübereinkommen steht; Vorbehalt möglicherweise unter Verstoß gg. Art. 59 Abs.2 GG zustande gekommen)
- LSG NRW, 23.05.012 - L 7 AS 2252/11 B ER (Leistungsausschluss begegnet unter Berücksichtigung des europäischen Primärrechts erheblichen Bedenken)
- SG Berlin, 08.05. 2012 - S 91 AS 8804/12 ER (Leistungsausschluss bleibt wegen des Anwendungsvorrang genießenden Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 883/2004 unberücksichtigt)
- LSG Bayern, L 16 AS 568/12 B ER (Vorbehalt unwirksam und Zweifel daran ob es sich beim SGB II um neue Rechtsvorschrift i.S.v. Art. 16 EFA handelt)
- SG Berlin, 25.04.2012 - S 78 AS 8137/12 ER (Vorbehalt wahrscheinlich unwirksam, Leistungsausschluss begegnet erheblichen Bedenken im Hinblick auf Art. 4 EGV 883/2004)

Mittlerweile ist die Frage der Rechtmäßigkeit des Leistungsausschlusses endlich auch beim Bundessozialgericht anhängig (B 4 AS 9/13 R). Das Bundessozialgericht sah sich indes zu einer Entscheidung außerstande und hat entscheidende Vorfragen nunmehr dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.



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